Zehn Fahrer aus Tunesien sind seit Dezember Teil des Busfahrer*innenteams von Autokraft an den Standorten Kiel, Eckernförde und Eutin. Dass sie hier mit am Lenkrad sitzen, ist Ergebnis eines gut vorbereiteten Prozesses, den Autokraft mit der VISABEE GmbH und großem Eigenengagement von Führung und Mitarbeitenden erarbeitet und umgesetzt hat.
Ein Gespräch mit Dana Schulz, Leiterin der Autokraft Niederlassung Kiel, und Bastian Mahmoodi, Gründer und Geschäftsführer der VISABEE GmbH aus Kiel über Beweggründe, Alltagsherausforderungen, eine weltoffene Unternehmenskultur und zehn hochmotivierte neue Teammitglieder.
Copyright: Sascha Jessen
Wir suchen Menschen, die aus freien Stücken zu uns kommen, die den europäischen Gedanken in sich tragen, die gern in Deutschland arbeiten wollen – und das am Lenkrad eines Busses. Und wir haben sie gefunden!
Dana Schulz, Leiterin der Autokraft Niederlassung Kiel
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Da kommen keine Arbeitskräfte zu uns. Da kommen Menschen, die uns ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Das ist unser Leitgedanke!
Bastian Mahmoodi, Gründer und Geschäftsführer der VISABEE GmbH, Kiel
Dana Schulz: In der Branche gibt es generell eine personelle Notlage. Und natürlich geht die DB viele Wege, um vor Ort Personal zu finden. Unsere Personalgewinnung hat ein großes Maßnahmenbündel. Wir arbeiten zum Beispiel mit den Arbeitsagenturen zusammen und bilden selbst aus. Aber der Arbeitsmarkt ist historisch eng. Außerdem gehen ab Ende 2026 viele unserer Busfahrerinnen und Busfahrer in Rente. Wir haben uns deswegen entschieden, rechtzeitig auch im Ausland zu rekrutieren, das ist für uns ein Teil der Lösung.
Bastian Mahmoodi: Ich habe die VISABEE GmbH im Jahr 2018 gegründet. Seitdem begleiten wir Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen bei der Rekrutierung von internationalen Fachkräften. Wir bauen für jedes Unternehmen ein individuelles Projekt, reisen in die möglichen Herkunftsländer der zukünftigen Fachkräfte, lernen Interessenten kennen und schlagen unserem Kunden eine Auswahl möglicher zukünftiger Mitarbeiter*innen vor. Anschließend bereiten wir die Menschen für ihren Einsatz vor. Dabei geht es nicht nur um fachliche Fragen. Da kommen keine Arbeitskräfte zu uns. Da kommen Menschen, die uns ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Das ist unser Leitgedanke. Das Projekt mit der Autokraft GmbH ist unser erstes in der Nahverkehrsbranche. Das hat für mich auch einen sehr persönlichen Anknüpfungspunkt: Mein Vater kam vor 51 Jahren aus dem Iran nach Deutschland – mit dem Bus.
Bastian Mahmoodi: Tunesien ist aus vielen Gründen interessant. Zunächst einmal ist Tunesien nicht so weit weg – das schätzen die Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, sehr. Und dann haben wir festgestellt, dass es den Tunesiern auch kulturell leichtfällt, sich hier gut einzuleben.
Dana Schulz: Neben den fachlichen Qualifikationen steht die persönliche Motivation für uns an erster Stelle: Wir suchen Menschen, die aus freien Stücken zu uns kommen, die den europäischen Gedanken in sich tragen, die gern in Deutschland arbeiten wollen – und das am Lenkrad eines Busses. Schließlich soll dieser Schritt ja für alle Beteiligten nachhaltig sein. Und wir haben sie gefunden: Unsere zehn neuen Kollegen sind hochmotiviert. Im Gegenzug bieten wir ihnen eine langfristige berufliche Perspektive im DB-Konzern und viele herzliche Menschen …
Dana Schulz: Ja, die gab es. Aber wir haben alle von Beginn an auf diesem neuen Weg mitgenommen. Wir haben viel informiert und Vorurteile entkräftet, etwa, dass die neuen Mitarbeitenden alles geschenkt bekommen würden. Das ist nicht so. Stattdessen haben wir in der Belegschaft um Spenden gebeten, zum Beispiel um alte Fahrräder, damit die neuen Kollegen vor Ort mobil sind. Die tunesischen Männer sind Muslime. Da haben viele auch gedacht, dass es Probleme mit dem Frauenbild gibt. Ich bin eine Frau, klein und blond, und kann aus eigener Erfahrung sagen: Die gibt es nicht. Im Gegenteil: Sie scheinen stolz darauf zu sein, eine Frau als Chefin zu haben.
Bastian Mahmoodi: Von unserer Seite aus gab es zum Glück nicht viele Hürden. Ich bin selbst nach Tunesien geflogen und habe unser Projekt dort präsentiert. Dann haben wir die Interessenten bereits in ihrem Heimatland fünf Monate lang vorbereitet. So konnten wir schon viele mögliche Hindernisse abbauen. Am 5. Dezember 2024 haben wir sie dann in Deutschland willkommen geheißen. Seither sind sie im Unternehmen im Einsatz.
Dana Schulz: Von Seiten der Autokraft GmbH aus war die größte Hürde, passende Wohnungen zu finden. Da unsere neuen Mitarbeiter kein Auto haben, müssen sie so wohnen, dass sie auch zu Fuß oder mit dem Rad zu ihrer Betriebsstätte kommen. Schließlich fahren sie wie alle anderen auch mal die erste oder letzte Schicht, wenn noch kein Bus oder kein Bus mehr fährt. Und dann sind da die Alltagssachen, die für jeden Menschen in einem fremden Land erst einmal eine Hürde sind: Wo gehe ich einkaufen? Wie funktioniert das Gesundheitssystem? Bei welchen Behörden muss ich was beantragen? Für diese Fragen haben wir eine Integrationshilfe aus unserem Fahrer*innenteam heraus aufgebaut: Erfahrene Kolleg*innen begleiten die neuen Kollegen beim Einkaufen, bei Behördengängen oder verbringen einfach freie Zeit mit ihnen. Das klappt gut. Bei anderen Fragen können auch die SuKi-Manager*innen unterstützen – ein Zusatzangebot unseres Mutterkonzerns, der Deutschen Bahn. SuKi steht für Soziale und kulturelle Integration.
Dana Schulz: Für uns ist es ein guter Weg, unsere Türen für neue motivierte Fachkräfte aus dem Ausland zu öffnen. Sicher profitieren wir dabei auch davon, dass wir schon immer ein weltoffenes Unternehmen waren: Wir haben unternehmensweit sehr viele Mitarbeiter*innen mit Migrationshintergrund. Allein in meiner Niederlassung arbeiten Menschen aus 42 Nationen.
Bastian Mahmoodi: Damit dieser Weg gut funktioniert, wird es immer wichtiger, dass sich noch mehr Unternehmen klar für Weltoffenheit und Demokratie aussprechen. Deutschland steht bei der Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland insgesamt noch am Anfang. Auch im Transportwesen werden wir zunehmend auf sie angewiesen sein. Denn auch wenn wir vielleicht in der Zukunft einmal in autonom fahrenden Bussen und Zügen sitzen: Im Moment brauchen wir noch Menschen am Steuer.
Nicht nur bei Autokraft, sondern auch beim Flensburger Verkehrsunternehmen Aktiv Bus setzt man auf Fachkräfte aus dem Ausland. Bereits Anfang September wurden dort fünf neue Mitarbeiter*innen aus Kenia begrüßt. Einen Artikel dazu lesen Sie in der los!, dem Magazin für Mobilität von NAH.SH: www.los-lesen.de