Sauber, leise, komfortabel – seit mehr als einem Jahr sind batteriebetriebene Züge in Schleswig-Holstein unterwegs. Die 55 Fahrzeuge bedienen 40 Prozent des Bahnverkehrs im echten Norden. Bei NAH.SH hat das Team um Ruth Niehaus die weltweit erste Akkuzugflotte vorangetrieben.
Vor knapp 200 Jahren dampfte die erste deutsche Eisenbahn zwischen Fürth und Nürnberg. Seitdem gab es in der Bahnbranche nur alle paar Jahrzehnte eine wirkliche Innovation. Am 1. Oktober 2023 war es wieder so weit. Ein dunkelblau-türkiser Akkuzug fährt von Kiel nach Oppendorf. Abfahrt 7:08 Uhr, pünktliche Ankunft elf Minuten später. Mit der kurzen Fahrt über zehn Kilometer beginnt der weltweit erste Linienbetrieb einer Akkuzugflotte.
Diese ist mittlerweile auf 55 baugleiche Fahrzeuge angewachsen. Im Wochentakt rollten die vom Hersteller Stadler entwickelten Züge in den Norden. Der letzte ging im Dezember 2024 in Betrieb. Die Unternehmen nordbahn und erixx Holstein setzen die Fahrzeuge ein. Jetzt flitzt die innovative Flotte auf elf Linien durch Schleswig-Holstein und bedient dort rund 40 Prozent des Bahnverkehrs. Dadurch spart das Land jährlich zehn Millionen Liter Diesel ein und vermeidet so 26.000 Tonnen CO2.
Geladen werden die Batterien über bereits vorhandene sowie auf insgesamt elf Kilometern neu gebaute Oberleitungen. Mit vollen Akkus, die auf oder unter dem Fahrzeug montiert sind, haben die Züge rund 80 Kilometer Reichweite. Die Fahrpläne sind so gestaltet, dass genug Zeit zum Laden bleibt. Im Vergleich zu den dieselbetriebenen sind die elektrischen Triebwagen leiser, spurtstärker und deutlich schneller. Sie sind barrierefrei, komfortabel und voll klimatisiert. Große Toiletten sowie viele Steckdosen und USB-Anschlüsse kommen bei den Fahrgästen besonders gut an.
WLAN und Mobilfunk werden noch besser, verspricht NAH.SH-Projektleiterin Ruth Niehaus. Anfangs hakte es auch bei der Software, die die Batterien ansteuert. Weil Sensoren und Schließmechanismen nicht funktionierten, fielen Toiletten aus, ebenso Türschlösser im Führerstand. Zuletzt waren einige Fahrzeuge aufgrund der Wartungsarbeiten und der Sturmfolgen um Silvester im Reparaturwerk Rendsburg.
Trotz der Kinderkrankheiten zieht Niehaus nach mehr als einem Jahr Betrieb eine positive Bilanz: „Die Akkuzüge fahren gut und zuverlässig. Weil es vergleichsweise wenig Anlaufprobleme gibt, ist man bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen begeistert.“ Dass die Technik so gut funktioniert, sei bei einem völlig neu entwickelten Fahrzeug alles andere als selbstverständlich, erklärt die Elektrotechnik- und Wirtschaftsingenieurin Niehaus. So wie neue Autotypen oft in die Werkstatt gerufen werden, müsse sich auch bei einem neuen Zug trotz 100.000 Testkilometern der Betrieb erst einspielen.
Frau Niehaus, Sie sind vor rund fünf Jahren als Projektleiterin für die Akkuzüge bei NAH.SH eingestiegen. Was war der aufregendste Moment?
Morgens um sechs Uhr, als ich das erste Mal in dem neuen Zug gefahren bin. Auf dem Testring durfte ich den Akkuzug auch das erste Mal selber fahren. In solchen Momenten ist es egal, dass die Nächte kurz und die Tage lang sind. Auch die erste Fahrt im Linienbetrieb war ein Highlight. Viele Kolleginnen und Kollegen, Bahnbegeisterte und Projektbeteiligte aus ganz Deutschland sind mitgefahren. Es war eine schöne, ausgelassene Stimmung, schon bevor es Champagner gab.
Was war die größte Herausforderung?
Es fühlte sich nicht nur alles neu an – es war tatsächlich Pionierarbeit. Kein Akkuzugprojekt in anderen Regionen war so weit wie unseres. Einerseits ist es ein tolles Gefühl, das erste Projekt zu sein und die Richtung vorzugeben. Andererseits fehlte der Austausch. Ich wurde oft angerufen und gefragt, wie man bestimmte Probleme löst – nur ich hatte niemanden, den ich fragen konnte.
Netz und Betrieb, Eigentümer und Auftraggeber – wie ist es zu schaffen, so viele Beteiligte zu koordinieren?
Das ist nicht immer einfach. Bei einem so komplexen Projekt gibt es immer Reibung. Aktuell sehe ich mich an vielen Stellen als Moderatorin, die versucht, die Konflikte zwischen den Vertragsparteien konstruktiv zu lösen. Hinzu kam, dass entscheidende Projektphasen in die Pandemie fielen. Aber die Arbeit macht viel Spaß. Ich freue mich darauf und stehe jeden Morgen mit einem Lächeln auf.
Mehr Infos: akkuzug.nah.sh/